Interview mit Jens Lingemann

Im Interview berichtet Jens Lingemann von seinem Weg über die Diagnose COPD bis hin zur Gründung einer Selbsthilfegruppe und des Symposium Lunge.
 | 17.09.2010

Herr Lingemann, im Jahr 2000 wurde bei Ihnen eine COPD mit Lungenemphysem diagnostiziert. Können Sie sich an die Tage und Wochen nach der Diagnose erinnern? Was ging in Ihnen vor?

J. Lingemann: An die ersten Tage habe ich keinerlei Erinnerung. Nach einem Pneumothorax und einer Kohlendioxydvergiftung lag ich zunächst mehrere Tage im Koma und längere Zeit auf der Intensivstation, wobei ich zwischenzeitlich aufgrund von Komplikationen in ein anderes Klinikum gebracht werden musste.

Nachdem ich aus dem Koma erwacht war, mich zumindest im Bett wieder bewegen und einigermaßen klar denken konnte, waren die wichtigsten Fragen für mich:

„Wann und wie werde ich wieder gesund? Wie soll es zukünftig weitergehen? COPD – was ist das überhaupt? Von COPD hatte ich bis dato noch nie gehört.“

Nachdem ich mich dann in einigen Fachbüchern, die mir meine Frau ins Krankenhaus brachte, in das Thema eingelesen hatte, musste ich feststellen, dass es sich bei der COPD mit Lungenemphysem um unheilbare Krankheiten handelt, die mich den Rest meines Lebens begleiten würden. Auch wenn ich eigentlich ein sehr rationaler Mensch bin, hat mich die Tatsache, dass ich von nun an immer krank sein werde, sehr verunsichert. Sehr schnell bin ich jedoch dann dazu übergegangen, mich noch intensiver mit der Krankheit auseinanderzusetzen, mir soviel wie möglich fundiertes Wissen anzulesen, mit dem Ziel zukünftig die Erkrankung in meinem Sinne möglichst optimal managen zu können.


Viele Betroffene trifft die Diagnose COPD gerade zu Beginn sehr hart. Welche Tipps können Sie einem Patienten geben, der gerade von seiner Erkrankung erfahren hat? Wie sollten die ersten Schritte aussehen?

J. Lingemann: Sie fragen wie die ersten Schritte aussehen sollten? Das kann ich selbstverständlich in der Form nicht beantworten, da jeder Mensch mit einer solchen Diagnose unterschiedlich umgeht, ist es mir unmöglich, allgemeingültige Verhaltensmaßnahmen zu benennen. Ich kann also allenfalls einige Möglichkeiten aufzeigen, wie man eventuell vorgehen könnte.

  1. Immens wichtig für alle Betroffenen ist es, sich in pneumologische Behandlung zu begeben. Bei einer so komplexen Erkrankung – wie der COPD mit oder ohne Lungenemphysem – geraten Hausärzte nicht selten an ihre Grenzen, weil Ihnen zumeist die entsprechenden Geräte zur Diagnostik fehlen.
  2. Ebenso wichtig – erscheint mir persönlich – eine Mitbehandlung in einer Lungenfachklinik auch vor dem Hintergrund sich eine 2. unabhängige Diagnose stellen zu lassen.
  3. Betroffene sollten nicht nach der Vogel-Strauss-Politik verfahren und den Kopf in den Sand stecken. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der Krankheit. Um im Alltag richtig mit ihr umgehen zu können, sollte man also so viele Informationen wie möglich zusammentragen und die Lebensführung entsprechend anpassen.

Von den Erfahrungen anderer Betroffener zu profitieren, ist neben dem Lesen von Fachliteratur wohl die beste Methode, um an Informationen zu kommen.

Man tut gut daran, Kontakt zu anderen Betroffenen zu suchen. Das geht am einfachsten über Selbsthilfegruppen von denen unsere Organisation derzeit 57 in Deutschland anbietet. Sollte sich keine regional aktive Selbsthilfegruppe in der näheren Umgebung finden, bieten wir auch über das Internet unter der Adresse http://www.lungenemphysem-copd.de unterschiedlichste Kommunikationsplattformen an.


Sie haben ziemlich schnell damit begonnen, sich mit der Krankheit aktiv auseinanderzusetzen. Schon Ende 2001 haben Sie die Selbsthilfegruppe und Mailingliste „Lungenemphysem-COPD Deutschland“ gegründet. Was hat Sie angetrieben?

J. Lingemann: In Büchern hatte ich mir – wie bereits erwähnt – zunächst einen Fundus an medizinischen Grundinformationen angelesen. Ich wollte jedoch schnell über das Faktische hinaus mehr erfahren. Vor allem war es mir wichtig, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die die Krankheit am eigenen Leib erleben, und von ihren Erfahrungswerten profitieren.

Ich habe mich also nach Foren im Internet umgeschaut, in denen sich Betroffene zum Thema austauschen. Als regelmäßiger Internet-User kann man sehr schnell Foren zu allen Themenbereichen finden, in denen leider oftmals dann mehr über Gott und die Welt geredet wird, aber nur wenig fundiert über die eigentliche Themenstellung. Genau diese Erfahrungen hatte ich damals auch gemacht, was meinen Entschluss es anders machen zu wollen erhärtete.

Im November 2001 gründete ich die Mailingliste „Lungenemphysem-COPD. Anfänglich waren wir nur 5 Teilnehmer, heute sind es über 2200 Betroffene, Ärzte und Therapeuten. In 57 regionalen Selbsthilfegruppen sind zudem einige tausend Teilnehmer organisiert, die sich vor Ort zum Erfahrungsaustausch zusammen finden.

Unseren Newsletter, der über alles Neue zum Thema informiert, beziehen 2200 Abonnenten, darunter Lungenfachärzte, Therapeuten, Betroffene und Angehörige. Insgesamt erreichen wir so über 10 000 Menschen, Tendenz steigend.


Wie hat sich die Krankheit bei Ihnen weiter entwickelt?

J. Lingemann: Meine Mobilität ist heute praktisch bei Null. Ich kann nichts mehr alleine ohne die Unterstützung meiner Frau machen. Seit 10 Jahren führe ich eine 24-stündige Langzeit-Sauerstofftherapie durch. Seit 2002 liegt mein FEV1 Wert bei 0,5 l/s, das sind 15% vom Soll. Nach zwei schweren Exazerbationen Ende letzten Jahres ist der FEV1 Wert auf 13% abgefallen, also auf dem absoluten Minimum angekommen.

Seit 2 Jahren muss ich nachts zusätzlich nichtinvasiv beatmet werden. An klaren Tagen komme ich mit Rollator und mobilem Sauerstoffgerät gerade mal 30 Meter weit. Dann mache ich schlapp, muss mich einige Minuten ausruhen, bevor ich wieder 30 Meter laufen kann. Das klappt aber auch nur an Tagen, an denen die Witterungsverhältnisse optimal sind, ansonsten bleibt nur der Rollstuhl.


Sie sagen von sich selbst, dass Sie gelernt haben, gut mit der Krankheit zu leben? Können Sie das etwas näher erläutern – was bedeutet es für Sie heute, ein gutes Leben zu führen?

J. Lingemann: Für mich bedeutet, ein gutes Leben zu führen, aus allem das Positive zu ziehen. Was bringt es mir, wenn ich den Rest der mir verbleibenden Zeit damit verbringe, mein Schicksal zu bejammern. Fakt ist, dass ich aufgrund des mittlerweile erreichten Stadiums kaum erwarten kann, noch sehr lange zu leben, dieses habe ich in Anbetracht der gesamten Entwicklung und des Voranschreitens meiner Erkrankung bereits vor Jahren akzeptiert und lebe sehr gut mit dieser Einstellung.

Dabei hat mir geholfen, dass ich, wie meine Frau immer sagt, ein kühler Rechner bin. Ich sammle Fakten, wäge alles gegeneinander ab und orientiere mich dann an den Möglichkeiten, die mir gegeben sind. Von allem anderen lasse ich die Finger.

In der mir verbleibenden Zeit möchte ich lieber meine noch vorhandenen Ressourcen optimal ausschöpfen und mich weiterhin engagieren und meinen Geist anstrengen.

Ich kann mich noch gut erinnern, als im Jahr 2007 das erste Mal das „Symposium Lunge“ stattfand. Nachdem die Veranstaltung gut über die Bühne gegangen war, hat mir das einen absoluten Kick versetzt. Ich habe noch am selben Abend bis spät in die Nacht hinein am Computer gearbeitet und mit der Organisation des nächsten Symposiums für das folgende Jahr 2008 begonnen. Das sind Momente, für die sich das alles lohnt.


Welche Rolle hat Ihre Familie im Verlauf der Erkrankung gespielt?

J. Lingemann: Zunächst war es sehr schwierig, mir einzugestehen, dass ich immer weniger selber erledigen konnte und somit zwangsläufig von Jahr zu Jahr auf mehr Hilfe angewiesen war. Das dieses auch meine gesamte Familie, besonders aber meine Frau belasteten würde, war mir vollkommen klar. Dass man eigentlich nichts mehr alleine machen kann, und für die alltäglichsten Dinge bereits massiv aktive Unterstützung benötigt, ist nicht schön, aber nicht zu ändern. Für Alleinstehende ist diese Situation sicherlich ungleich schwieriger. Meine Frau und ich haben dieses akzeptiert und schnell gelernt, mit dieser Situation umzugehen.


Seit 2007 findet einmal im Jahr in Hattingen an der Ruhr das von Ihnen initiierte und organisierte„Symposium Lunge“ statt – mit großem Erfolg. Was ist die Idee hinter dieser Veranstaltung?

J. Lingemann: Das „Symposium Lunge“ ist eine große überregionale Veranstaltung für Patienten mit Lungenerkrankungen, deren Angehörige, Ärzte, Klinikpersonal und Physiotherapeuten sowie für alle Interessierten. Bisher konnte ich jedes Jahr einige der namhaftesten Pneumologen Deutschlands gewinnen. Die Idee dieser Veranstaltung ist es, eine möglichst große Menge von Betroffenen zu versammeln und mit eben diesen Koryphäen aus dem Bereich der Pneumologie zusammenzubringen. Die Referenten auf dem Symposium sind zum großen Teil Direktoren von Lungenfachkliniken, die meist zugleich Doppelt- und Dreifachfunktionen als Verbandsvorsitzende, Vereinspräsidenten und Ausschussmitglieder erfüllen.

Die Experten selbst wiederum sind begeistert von der Möglichkeit, mit einem Vortrag 1300 bis 1700 COPD- und Lungenemphysem-Patienten gleichzeitig zu erreichen, wie das auf den bisherigen Symposien-Lunge in Hattingen stets der Fall gewesen ist. Was die Vorträge selbst angeht, achten die Referenten darauf, alles möglichst einfach für die Patienten verständlich auszudrücken, so dass es jeder im Saal verstehen kann.


Gerade vor dem Hintergrund der Selbsthilfegruppe „Lungenemphysem-COPD Deutschland“ und dem „Symposium Lunge“ wirken Sie in vielerlei Hinsicht aktiver und engagierter als die meisten von uns „gesunden“ Menschen. Wie erklären Sie sich selbst dieses Phänomen?

J. Lingemann: Ich war auch vor meiner Erkrankung ein umtriebiger Mensch, nur eben in anderen Bereichen. Eine Erkrankung wie die COPD eröffnet einem jedoch andere Perspektiven auf das Leben, die einen fortan prägen.

Mein Sozialbewusstsein z.B. ist heute definitiv ausgeprägter als früher. Vielleicht lernt man über die Belastungen, die einem das Leben mit COPD-Lungenemphysem aufbürdet, dass es auch andere Menschen gibt, die im Leben gewissen Nachteilen unterliegen. Damit meine ich nicht nur die physischen Aspekte, sondern auch die sozialen Folgen, die so eine Erkrankung mit sich bringt.

Das kann viele Gründe haben, worauf ich hinaus will, ist, dass solange man gesund ist, man nicht die Zeit und nicht das Verständnis hat, sich mit solchen Gedanken zu beschäftigen. Das macht man erst, wenn man selbst Betroffener ist.

Das soziale Umfeld, der Umgang mit Freunden und Verwandten bricht in den meisten Fällen nach und nach weg. Die Teilhabe am öffentlichen Leben in Form von gemeinsamen Theater und Konzertbesuchen oder Gruppenreisen können die meisten der Betroffenen aufgrund der Einschränkungen nicht lange aufrechterhalten.


Was wünschen Sie sich für die Organisation „Lungenemphysem-COPD Deutschland“ in der Zukunft?

J. Lingemann: Für die Zukunft der SHG würde ich mir wünschen, dass die Zuwachsraten wie in den letzten Jahren weiter steigen. Das Ziel muss darüber hinaus ein flächendeckendes Netz von regionalen Selbsthilfegruppen sein. Derzeit gibt es viel zu wenig Gruppen in ganz Deutschland – wenn man bedenkt, dass es schätzungsweise 6 Mio. Betroffene gibt. Zudem gibt es immer noch Landstriche, da findet sich in einem Radius von 150 km keine Selbsthilfegruppe für COPD- und Emphysem-Erkrankte.

Dieses zu ändern, ist ein wichtiges Ziel, denn nur so können wir den Betroffenen den Erfahrungsaustausch mit anderen Patienten nahebringen.

Auch was den gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad der Krankheit betrifft, muss noch einiges getan werden. Nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung kann etwas mit dem Begriff „COPD“ anfangen. Das hat auch ein mangelndes Verständnis der „gesunden“ Menschen gegenüber COPD-Patienten zur Folge, weil man ihnen ja in den meisten Fällen nicht auf den ersten Blick ansieht, dass sie eine Behinderung haben.

Hier würde ich mir wünschen, dass durch systematische Aufklärungsarbeit die Volkskrankheit COPD die angemessene und notwendige Aufmerksamkeit bekommt.

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