Echt genesen, spät genesen, krank genesen: Leben lernen mit Corona (Teil 1)

Im dritten Pandemie-Jahr macht sich „Corona-Müdigkeit“ breit. Das ist verständlich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir einen guten Weg zwischen Panik und Leichtsinn finden müssen, um mit dem Virus und seinen Auswirkungen zu leben.

SARS-CoV-2: Ein Virus fordert uns heraus

Das neuartige Corona-Virus fordert uns in vielerlei Hinsicht heraus. Besonders anspruchsvolle Aufgaben ergeben sich vor allem für die Wissenschaftskommunikation.

  1. Wie können wir angemessen reagieren bei fehlendem Wissen?
  2. Wie können wir uns orientieren bei zunehmendem Wissen?
  3. Wie können wir uns anpassen bei neuen Erkenntnissen?

In der Anfangssituation waren die fehlenden Daten das Problem. Inzwischen sind eher nicht belastbare oder widersprüchliche Daten problematisch. Diese Situation trägt möglicherweise auch dazu bei, daß viele Menschen „Corona-müde“ geworden sind und sich am liebsten nicht mehr mit dem Virus und seinen Auswirkungen beschäftigen wollen.

Doch Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen (die größte Lesergruppe auf dem Internet-Portal „Leichter atmen“) wissen aus eigener Erfahrung: Die Vogel-Strauß-Taktik führt nur zu Sand in den Augen 😉!

Deshalb folgt an dieser Stelle der Hinweis auf zwei verläßliche und verständliche Quellen, die laufend aktualisierte Informationen zu COVID bieten:

Gesundheitsinformation.de

Stiftung-Gesundheitswissen.de

Falls Du also den aktuellen Stand der Erkenntnisse zur akuten Coronavirus-Infektion (COVID, engl. COrona VIrus Disease) nachlesen möchtest, so kannst Du das auf den oben erwähnten Seiten tun. Der Schwerpunkt in diesem Blog-Beitrag soll nämlich auf Long-COVID und Post-COVID liegen.

Long-COVID und Post-COVID: Viele offene Fragen, wenige vorläufige Antworten

Nicht nur die akute Coronavirus-Infektion fordert heraus, auch bei den Infektionsfolgen tauchen viele Fragen auf.

Für die Wissenschaft sind es vor allem folgende Themen:

  1. Sind Long-COVID und Post-COVID neuartige Phänomene?
  2. Was sind bei Long-COVID und Post-COVID Folgen der Infektion, Folgen der Behandlung (Intensivtherapie und Beatmung), Folgen der Pandemie-Maßnahmen und wie lassen sie sich voneinander unterscheiden?
  3. Gibt es bei Long-COVID und Post-COVID Zusammenhänge mit Vor- und Begleiterkrankungen?

Den aktuellen Wissensstand zu diesen Themen gibt die S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID wieder. Sie ist im Internet frei zugänglich und auch für Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen lesenswert.

Drängende Patientenfragen zu Long-COVID und Post-COVID

So wichtig die wissenschaftlichen Hintergründe für den Umgang mit einer Erkrankung auch sein mögen: Betroffene interessieren sich vorrangig eher für folgende Themen:

  1. Bin ich als Patient mit einer chronischen Lungenerkrankung besonders gefährdet durch Long-COVID oder Post-COVID?
  2. Wie lange halten die Beschwerden bei Long-COVID oder Post-COVID an?
  3. Welche Auswirkungen haben Long-COVID oder Post-COVID auf Psyche und Lebensqualität?

Verständliche Antworten auf diese (und viele andere drängende Patientenfragen) bietet die Leitlinie “Long-/Post-COVID-Syndrom“ für Betroffene, Angehörige, nahestehende und pflegende Personen. Diese sogenannte Patienten-Leitlinie stützt sich auf die oben erwähnte medizinische Leitlinie und versucht, den bisherigen Wissensstand in die Praxis umzusetzen. Deshalb lohnt die Lektüre dieser 40 Seiten sehr.

Für alle, die Informationen kurz und bündig lieben (und Antworten auf drängende Patientenfragen suchen), folgt nun ein Frage-Antwort-Format zu den wichtigsten Aspekten beim Long-COVID-Syndrom.


Long-COVID, Post-COVID: Gibt es da einen Unterschied?

Jawohl! Long-COVID bedeutet „spät genesen“. Der Begriff bezeichnet Beschwerden, die länger als vier Wochen nach Coronavirus-Infektion neu auftreten oder fortbestehen. Post-COVID steht für „krank genesen“. Dieser Ausdruck bezeichnet Beschwerden, die bei einer fortwährend symptomatischen Coronavirus-Infektion länger als zwölf Wochen fortbestehen und nicht durch eine andere Diagnose erklärbar sind. Diese Feinheiten der wissenschaftlichen Definitionen werden im folgenden Text vernachlässigt. Long-COVID und Post-COVID werden zusammengefaßt unter dem Begriff „Post-COVID-Syndrom“ (PCS).


Was sind typische Beschweren beim Post-COVID-Syndrom (PCS) und wie häufig treten sie auf?

Das Beschwerdebild ist bunt und läßt sich – nach Häufigkeiten verteilt – wie folgt darstellen.

long post covid grafik haeufigkeit
Quelle: Patienten-Leitlinie Long-/Post-COVID-Syndrom

Die gute Nachricht: Anfänglich fürchtete man, daß 60 bis 70 Prozent der akut an COVID Erkrankten langdauernde Beschwerden haben könnten. Inzwischen geht man aufgrund der Daten von 5 bis 15 Prozent Long-/Post-COVID-Betroffenen aus.


Gibt es unterschiedliche Formen von Post-COVID-Syndrom?

Möglicherweise. Die Daten deuten darauf hin, daß es zumindest zwei Unterformen gibt: eine Form, bei der Fatigue und psychische Symptome überwiegen und eine Form, bei der andere und weitere körperliche Beschwerden überwiegen. Neuere Studien unterteilen das Post-COVID-Syndrom aufgrund der befallenen Organsysteme in drei Unterformen:

  1. PCS mit neurologischen Symptomen: Geruchs- und Geschmacksverlust, „Brain Fog“ – also starke Konzentrationsprobleme, Kopfschmerzen, Delirium, Depression und Müdigkeit
  2. PCS mit Atemwegssymptomen: Schädigungen der Lunge, schwere Kurzatmigkeit, Herzrasen, Müdigkeit und Brustschmerzen
  3. PCS mit systemischen bzw. entzündlichen und abdominalen Symptome: Muskel- und Knochenschmerzen, Blutarmut, Muskelschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Unwohlsein, Müdigkeit

Bin ich als Patient mit einer chronischen Lungenerkrankung besonders gefährdet durch Long-COVID oder Post-COVID?

Die Datenlage zum Erkrankungsrisiko ist noch unsicher. Zur Risikogruppe zählen möglicherweise:

  • Frauen,
  • Altersgruppe 30 bis 50 Jahre,
  • Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen (Asthma, Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht),
  • Patienten mit mehr als fünf Symptomen in der COVID-Akutphase.

Diese Aussagen sind jedoch vorläufig. Vor allem die Frage nach den Auswirkungen einer akuten Coronavirus-Infektion auf den Verlauf von Interstitiellen Lungenerkrankungen (z. B. Lungenfibrose) bedarf dringender Klärung.


Treten Langzeit-Auswirkungen ausschließlich nach einer Coronavirus-Infektion auf?

Nein. Langanhaltende Beschwerden nach Virusinfektionen sind bekannte Phänomene, z. B. nach Infektionen mit Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber), Herpesvirus (Gürtelrose), Influenzavirus (Grippe), Rickettsien (Fleckfieber). Auch bei diesen Virusinfektionen kann es beispielsweise zum Vollbild eines Chronischen Fatigue-Syndroms/ Myalgische Enzephalomyelitis (CFS/ME) kommen.


Läßt sich das Post-COVID-Syndrom (PCS) von anderen Krankheitsbildern klar abgrenzen?

Die Abgrenzung des vielgestaltigen PCS von anderen Krankheitsbildern mit ähnlichen körperlichen und psychischen Beschwerden ist mitunter schwierig bis unmöglich. Es gibt bisher keine Untersuchungen (z. B. Laborwerte), die ein PCS eindeutig diagnostizieren bzw. ausschließen können. Normale Laborwerte schließen ein PCS jedoch nicht aus. Schwierigkeiten bereitet vor allem die Abgrenzung zwischen Infektionsfolgen, Behandlungsfolgen und Folgen der Pandemie-Maßnahmen, die sich alle in Form von körperlichen oder psychischen Beschwerden äußern können.


Was tun bei anhaltenden Beschwerden nach einer Coronavirus-Infektion?

Inzwischen ist das Phänomen Post-COVID-Syndrom im medizinischen Alltag „angekommen“. Die erste Anlaufstelle bei anhaltenden Beschwerden ist die Hausarzt-Praxis (am besten die Praxis, die Dich und Deine Krankheitsgeschichte bereits kennt). Der Hausarzt wird bei Bedarf zum Koordinator für weiterführende Diagnostik und zum Initiator von notwendigen Rehabilitations-Maßnahmen (ambulant oder stationär).


Welche Lebensbereiche schränkt das PCS am häufigsten ein und was trägt nach derzeitigen Wissensstand am besten zur Genesung bei?

Am häufigsten schildern Betroffene folgende Einschränkungen:

  • Schlafstörungen und Müdigkeit,
  • schnelle und ausgeprägte Erschöpfung nach körperlicher oder geistiger Anstrengung (Fatigue),
  • eingeschränkte körperliche Belastungsfähigkeit und Atemnot bei Belastung,
  • Denk- und Konzentrationsstörungen.

Typischerweise schwanken diese Beschwerden sehr stark. Außerdem berichten Betroffene, daß die Beschwerden nach geringfügigen körperlichen und geistigen Anstrengungen zunehmen und länger andauern (etwa als starker Muskelkater oder „Grippegefühl“). Dieses Phänomen wird als Post-exertionelle Malaise (PEM) bezeichnet und ist typisch für CFS/ME. Vor allem bei PCS mit Fatigue sind im Rahmen der ambulanten und stationären Rehabilitation effektive Methoden aus der Psychopneumologie gefragt.

Quellen:
– Foto: fizkes / Shutterstock.com

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